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Posts Tagged ‘Süddeutsche Zeitung’

Anlässlich des Todes von Ernst Jünger hat die Süddeutsche Zeitung 1998 ein kleines Statement von Schlingensief über Jünger veröffentlicht, das mir als eine der schönsten Anekdoten der Jünger-Rezeption erscheint:

Süddeutsche Zeitung, 19. Februar 1998:

Christoph Schlingensief: Das Drehbuch

Auch wenn man schnell in den Ver­dacht kommt, als Nazi oder Christdemo­krat abgestempelt zu werden, so muß ich leider behaupten, daß mich Ernst Jünger sehr beeindruckt hat! Und zwar im Jahr 1983, als ich einen Kurzfilm nach einer Kurzgeschichte von Ernst Jünger mit dem Titel Desinvolture drehen wollte. Ich schrieb also ein Drehbuch und schick­te es zum Verlag mit der Bitte, Herrn Jünger zu fragen, ob ich die Kurzgeschichte verfilmen dürfe. Darin ging es um den un­glaublich faszinierenden Augenblick kurz vor dem Einschlafen, wenn man wie ein Fisch durch die Straßen schwebt und den entgegenkommenden Passanten di­rekt ins Gesicht schwimmt

Jedenfalls bekam der Verlag meine 15 Seiten. Da ich nach 14 Tagen nichts ge­hört hatte, rief ich an, und man ver­sprach mir, sich in den nächsten Tagen zu melden. Und tatsächlich! Drei Tage später ging das Telefon und der Verlag war dran: Ich dürfe die Kurzgeschichte verfilmen, Herr Jünger hätte zugesagt­. Auf die Frage, was er denn genau dazu ge­sagt hätte, meinte der Lektor: Herr Jün­ger hat gesagt, daß er noch nie zuvor so eine Scheiße gelesen hätte. Ganz schön radikal, dachte ich und legte auf.

Ich hatte Schlingensief 2003 geschrieben mit der Bitte, das in meinem Buch „Anarch im Widerspruch“ abdrucken zu dürfen. Er reagierte nicht auf meine Anfrage. Oder doch und ich hab’s vergessen? Während ich danach suche, finde ich einen Eintrag von mir von 2000 im Tagebuch:

Gestern zufällig reingezappt auf MTV: Schlingensief U3000. Gequirlte Scheiße.Völlig krank. Maria und Margot Hellwig (die Mumien aus dem Musikantenstadl) interviewen eine Asthmakranke, degenerierte Frau, indes Schling’ eine halbe Whisky–Flasche auf EX runterkippt. „Wenn du das nicht glaubst, lüge ich dir was anderes vor“ usw. Schling’ verschlingt die zweite Hälfte des Whiskys. Abschließendes statement: „Und immer daran denken: dieses Gesellschaftssystem ist in 10 Jahren komplett zerstört“. – warten wir’s ab.

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Derzeit wird in Zeitungen und im Internet mehr oder weniger informiert und mehr oder weniger ernsthaft bis aufgeregt über Fragen des „Open Access“ (bei manchen aka „Open Enteignung“) diskutiert, darein mengt sich die Diskussion über das Vorgehen von Google: ganze Bibliotheksbestände werden gescannt und online gestellt.

Als Autor, Rechercheur, Informationsjunkie und Dauersurfer bin ich in jede Richtung befangen. Beim Versuch zu sagen, was ich nun von Google Buchscan / Open Access halte, kam ich zu dem Schluss, dass ich die Buchscans befürworte, wenn sie nicht so durchgeführt werden, wie von Nicholson Baker in „Der Eckenknick“ geschildert, nämlich mit ersatzloser Vernichtung des Originals nach dem Scan. Die erzürnt Baker zurecht.

1. Als Autor. Als Autor bin ich natürlich an der Verbreitung meiner Texte interessiert. Nicht zuletzt aus pekuniären Gründen. Denn nur ein verkauftes Buch bringt etwas ein.

2. Als Rechercheur. Als Rechercheur für beispielsweise mein Buch „Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers“ (Freiburg 1999: Rombach; 2. Aufl.: Schnellroda 2003: Edition Antaios, derzeit vergriffen) bin ich auf gute Quellen angewiesen für Lebensdaten, Zitatverifikation usw. Und da führte früher kein Weg an gedruckten Quellen vorbei, da Onlinequellen oft widersprüchlich waren. Durchsuchbare, gescannte Bücher lösen da allerhand Probleme im Handumdrehen. Es werden mit einem Klick Quellen verfügbar, nach denen ich mir vor 10-12 Jahren bei meinen Recherchen fürs Jüngerregister noch die Füsse wundlief.

3. Als Leser und Autor. Schon mehrfach habe ich über Googlebuchdings in Bücher hineingesehen, ebenso mit der SearchInside-Funktion von Amazon. Und einige der Bücher habe ich nach 1-2 angesehenen Probeseiten dann gekauft und gelesen, oder zur Lektüre irgendwann in die Regale gestellt. Manches Buch allerdings habe ich nach Durchsicht einiger gescannter Seiten ganz bewusst nicht gekauft.

4. Als Autor. Von mir sind im Moment zwei Bücher komplett verfügbar bei Googlebuch: Mein Jüngerregister in der 2., überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2003, und „Anarch im Widerspruch. Neue Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger“ von 2004 .

Wenn man nun in diesen beiden Büchern sucht, bekommt man 5-Zeilen-Schnippsel angezeigt und mehr nicht. Man kann also nicht einmal ganze Seiten oder mehr lesen. Kurz: Wenn jemand etwas sucht, etwa einen Namen, dann findet er rasch, ob er im durchsuchten Buch fündig wird – oder nicht. Aber sich durch ein ganzes Kapitel mit diesen Schnippseln durchzusuchen, das dürfte jedem zu aufwendig sein, und wenn das Buch nicht absolut verschollen ist, wird man eher das Buch leihen oder kaufen, als da sich die Finger wund zu frickeln. Und auch die recht comfortable Search-Inside-Funktion von Amazon, die zwar ganze Seiten anzeigt, aber eben nicht mehr, führt nicht dazu, dass das Buch dadurch unkaufwürdig wird.

Ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der regelmässig mein Jüngerregister nutzen will, oder jemand, der den „Anarchen im Widerspruch“ lesen will, dass dem ein PDF o.ä. nicht genügt. 300+ Seiten liest man nicht am Bildschirm.Die druckt man sich auch nicht aus. Die will man als Buch.

Und wenn doch: jemand der das tut, würde das Buch auch nicht kaufen, wenn es nicht online im Volltext verfügbar wäre. Der würde warten, bis jemand die Datei irgendwo hinstellt. Oder eben auf die Lektüre verzichten.

Oder er würde in die nächste Bibliothek gehen und sich das Buch ausleihen oder per Fernleihe kommen lassen. Im Gegensatz zur Online-„Fernleihe“ via Buchscan, regt sich darüber niemand auf. Weil das ja zum Bildungsauftrag des Landes gehört usw. Die Onlinebibliothek ist aber vielleicht die adäquate Ausformung des Bildungsauftrags für das 21. Jahrhundert? Nicht? Doch!

Nochmal als Autor. Im ersten Moment hatte ich mich geärgert als ich sah, dass die beiden genannten Bücher von mir komplett online sind, weil mich niemand gefragt hatte und den Verlag auch nicht. Im zweiten Moment aber fühlte ich mich geschmeichelt, dass man meine Bücher Seite für Seite in der University of Michigan auf den Scanner legt und ablichtet. Überhaupt ist es doch toll, dass die Bücher in Michigan stehen, dass man sich dort dafür interessiert.

Und die Vorstellung, dass eine studentische Hilfskraft oder sonstwer meinethalben ein Paarhundertmal auf den „Start“-Knopf drückte, finde ich vergnüglich.

Vieles in der aktuellen Debatte geht weit vorbei, etwa wenn Marek Liebermann in der Süddeutschen von heute von der „Gratis-Fratze“ spricht, die den Kreativen die Geschäfte verhageln würden. Das stimmt doch nicht. Es ist letztlich Gratis-Werbung:

Bei einem guten Buch ist jede gescannte Seite ein Kaufargument.

Bei einem schlechten Buch ist jede gescannte Seite ein Fingerwegdavonargument.

Aber unterstellt, dass ein Leser selbst entscheiden kann und vielleicht ganz andere Masstäbe hat als vielleicht ich, ist das Qualitätsargument nachrangig.

Bei wissenschaftlichen Texten – um diese geht es eigentlich bei der Open-Access-Debatte, es geht nicht um Romane oder Lyrik – sind die Verkaufszahlen sowieso meist vernachlässigbar. Für den Autor gibt’s meist ohnehin nur Freiexemplare und / oder Sonderdrucke, wenn Honorar, dann auch nur pauschal, aber doch nicht nach Verkaufszahlen. Es zählt für den Autor (der Verleger misst anders) also allenfalls, dass möglichst viele seine Thesen, Ausführungen, Erkenntnisse etc.pp lesen, und dass sie zitiert werden. Durch Scan und kostenfreie Onlineverfügbarkeit ist für Verbreitung und damit virulente Wirksamkeit gesorgt.

Die ungefragte Bucherfassung durch Google ist zwar zunächst ein Rechtsbruch – etwa analog zum Photokopieren eines vollständigen Buches [wer hat das als Student noch nie gemacht?!], nämlich eine Urheberrechtsverletzung. Aber, grosses Aber: dieser Rechtsbruch ist für Forscher und Liebhaber, für Leser und Rechercheure von Nutzen. Er ist Weichenstellung für etwas wichtigeres:

Denn eigentlich ist die ungefragte Bucherfassung in grossem Stil nichts anderes als die Modernisierung des Bibliotheksbegriffs. Sie ist dabei nicht weniger als die Revolutionierung des demokratischen Bildungsideals: das jederzeit zugängliche, geballte Wissen für jedermann.

Es gibt viel Unnützes und Halbwahres im Netz. Je mehr gute, wichtige, intelligente, kluge, weisheitsdurchsättigte Texte online sind, desto mehr haben alle davon und desto obsoleter werden obsolete, halbgare Quellen:

Ich hörte von allerlei Schularbeiten, deren einzige Quelle die Wikipedia war. Wenn künftig „Google Buchsuche“ die Hauptquelle sein wird, ist mir auch um die Bildung der Schüler nicht mehr bang.

Eines noch zum Schluss. Beim Überlesen dieses Textes beschleicht mich die Befürchtung, dass dies als Progoogletext aufgefasst werden könne. Das ist es gar nicht. Wer mich kennt, der weiss das. Und wer mich nicht kennt, der weiss es jetzt.

Bringt die Bibliotheken zu den Leuten! Anders gesagt: Bringt die Bücher zu den Leuten! Als Antiquar und Autor habe ich ohnehin nichts anderes im Sinn.

Mehr zum Thema Open Access hier

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Die „Süddeutsche Zeitung“  schreibt heute (9.Feb., S. 2, Annette Ramelsberger) zur Nachfolge Michael Glos‘ als Bundeswirtschaftsminister:

Auf keinen Fall aber kann das Amt CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg übernehmen (…)

Da liegt die FAZ besser, in der es heisst (9. Feb., S. 2,ff/pca):

(…) waren in der CSU auch noch andere CSU-Politiker im Gespräch, die Glos sofort ablösen könnten, darunter (…) CSU-Generalsekretär zu Guttenberg (…)

FAZit: Mit „auf keinen Fall“ sollte man sparsam umgehen, vor allem, wenn man ohnehin nur spekuliert.

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Sowohl in der Süddeutschen Zeitung als auch in der FAZ wurde heute anlässlich des TV-Programms Guido Knopp zitiert, der die „wahre“ Stauffenberg-Story erzählen wolle im ZettDeEff.

Das bringt mich zu einer ergänzten Wiedervorlage:

Nicht nur, dass die wahren Wahrheiten immer so inflationär sind. Historische Wahrheit ist sowieso so eine Sache.- Das habe ich in diesem Blog im ersten Eintrag schon einmal à propos Guido Knopp geschrieben ( https://wimbauer.wordpress.com/2008/12/04/geschichte-ist-anders/ ), flankiert vom FAZ-Zitat:

“Geschichte ist nicht das, was Guido Knopp dafür hält”

(Claudius Seidl).

Helmut Krausser schreibt in seinen Tagebüchern (aus dem Gedächtnis zitiert, gelegentlich trage ich die genaue Quelle nach):

Guido Knopp ist für die Geschichtswissenschaft das, was Jürgen Fliege für die Fundamentaltheologie ist

Auch wenn das hier vielleicht so aussieht: ich will kein Guido-Knopp-Bashing betreiben, ich kenne ihn schliesslich nicht persönlich, vielleicht ist er ja ein angenehmer Mensch, mit dem sich trefflich Plauderey betreiben liesse bei einer guten Flasche Wein. [und selbst wenn nicht, so wäre das kein Grund für pauschale Kritik]. Sein Name ist mir nur Chiffre für eine mit ziemlichem Brimborium aufgefahrene Schmalversion von Geschichte, die allenfalls ein schwachbrüstiges Halbwissen generiert. Man mag einwenden, dass es ein Verdienst sei, vielen Ahnungslosen wenigstens ein Halbwissen zu vermitteln, da Halb immer noch mehr als Nix ist. Gegen diesen Einwand weiss ich nichts zu entgegnen. Auch nicht gegen den Einwand, dass das Medium TV zur besten Sendezeit eben keine mehrschichtige Analyse erlaubt. Aber im Fünfteiler „Hitlers Fusspfleger“ muss nicht jeder Einsatz der kleinen Feile à la „Leni Riefenstahl meets High Noon“ aufgemacht werden…

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Update 21. Januar

Im Nachtmagazin wurde Guido Knopp heute anlässlich der Premiere von Thomas Kreuzers Film Walküre befragt. Er nannte den Film „Mission Impossible 4“, wofür er meine schmunzelnde Zustimmung hat. Als Verdienst des Filmes stellte Knopp heraus, dass so viele, für die Deutschland nur Hitler ist, erfahren, dass es mehr gab als nur Nazis. Wenn das so ist: D’accord.


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