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Posts Tagged ‘Milchferkelhalterabend’

Achtes und letztes Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

Claire sah, wie gesagt, bezaubernd aus. Ihr halblang geschnittenes Haar endete mit exaktem, klaren Schnitt dort, wo der Rollkragen am Hals umgeschlagen war.
„Du bist so wortkarg heute, Robert“, sagte sie nach einer Weile, in der sie von ihrer Arbeit gesprochen hatte, vom Wetter, daß der Herbst nun komme, ob er den auch so möge wie sie, was Robert bejahte, und daß sie ihren Vater im Krankenhaus besucht habe, dem ginge es nicht so gut, aber man habe alles im Griff, die würden nämlich gut für ihn sorgen und sich kümmern.
„Ach“, sagte Robert, „weißt du, es sind schon komische Tage. Ich weiß auch nicht so recht, wohin ich soll.“
„Wie meinst du das: wohin du sollst? Stimmt ‘was nicht bei der Arbeit?“ sagte Claire.
„Nein, das heißt, da ist’s wie immer. Durcheinander mit System. Urs, also Meyer von Knonau, Meyer also, hat pleite gemacht und es gibt doch ständig Ärger mit den Handwerkern, das kennst du doch.“
„Von euch ja“, sagte Claire.
„Dann weißt du ja, was ich meine.“
„Ich kann’s mir vorstellen.“
„Nein, es ist irgendwas anderes. Ich weiß nicht so recht, was es ist. Irgendwas stimmt einfach nicht mehr so richtig.“
„Was ist los“, fragte Claire.
„Ach, ich weiß nicht“, sagte Robert. Er legte seine Hand auf die ihre. Sie ließ ihn gewähren.
„Es rollt wie auf einer Kugelbahn, an jeder Kante tut’s weh, wenn die Murmel anstößt, jeder Weg ist ein kleiner, rollender Schmerz“, murmelte Robert.
„Was sagst du?“ Claire klang abwesend.
„Ach, nicht so wichtig“, sagte Robert und drückte ihre Hand, die sie ihm entzog. Mit der gleichen Bewegung streifte sie eine Haarsträhne von der Stirn.
Robert orderte einen Cappuchino, der ihm sogleich gebracht wurde. Er tat etwas Zucker hinein, rührte ihn um und trank daraus.
„Komm, laß uns gleich ein paar Schritte durch den Stadtpark gehen“, sagte Robert.
„Ja, das ist ‘ne gute Idee.“
Robert zahlte und sie verließen das Bateau ivre. Sie gingen in den Stadtpark. Claire hakte sich nach wenigen Schritten bei ihm unter. Das gefiel ihm.
Sie sprachen nicht viel bei dem Gang.
„Danke, daß du da warst“, sagte Robert ihr zum Abschied.

Robert nahm die Straßenbahn nach Hause, stieg in den 14er Bus und war dann da. An der Haltestelle, die nur ein wenig von der Laterne beleuchtet war, sah er im Gebüsch etwas liegen, einen toten Hund. Der konnte noch nicht lange tot sein, denn er sah aus, als schliefe er nur. Robert wartete, bis der Bus fortgefahren war und ging dann zu dem toten Hund hin. „Üben“, sagte er zu sich. Robert zog ein Tapeziermesser aus der Jackentasche und fuhr die Klinge aus. Er schnitt um ein Ohr herum, löste es vom Kopf und wickelte es in ein Taschentuch. Daheim angelangt, ging Robert direkt in den Keller und legte das Ohr auf die Plastikfolie, die er über den Tisch gezogen hatte.

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Siebtes Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

„Hinter allem was ich glaubte, lauerte die Welt…“

„Claire, kann ich dich heute abend sehen?“
„Robert, bist du das?“
„Ja, ich bin’s.“
„Um acht. Wo?“
„Was hältst du von Bateau ivre?“
„Gern.“
„Bis dann.“
„Ja, bis dann. Ich freu‘ mich.“
„Ich mich auch. Tschüs Robert.“
„Tschüs Claire.“
Robert legte auf. Er ging in die Kaffeeküche, wo, wie stets, Urs Meyer von Knonau saß.
„Robert …“
„Ja.“
„…wenn irgend jemand für mich anruft, ich bin nicht da.“
„Warum?“
„Naja, ich habe die PlanBau dichtgemacht.“
„Okay, wie geht’s weiter?“
„Na, ich mach‘ halt die BauPlan auf.“
„Also verleugnen.“
„Das wär‘ famos.“
„Geht klar.“
Urs Meyer von Knonau hatte eine Art Spieltrieb in Sachen Firmen entwickelt. Das heißt, daß seine Firmen immer innerhalb von ein, zwei Jahren als pleite gemeldet und abgewickelt wurden. Das Firmenmodell war immer so gestrickt, daß er selbst nicht persönlich haftbar war für den entstehenden Schaden. Nach anderthalb Wochen Schonfrist, wie er es nannte, machte er unter der gleichen Adresse ein neues Architekturbüro auf, das mit der selben personellen Besetzung und Struktur auftrat. Nur der Name hatte sich geändert. Urs Meyer von Knonau kaufte der alten Firma zu dumping–günstigem Preis die Austattung, Computer und dergleichen ab und übernahm die von der alten Firma begonnenen Aufträge. Meistens. Manchmal überließ er sie auch – gegen entsprechende Gebühr, die inoffiziell gezahlt wurde, also nicht der Konkursmasse zugeordnet werden konnte – den Lieks, die wiederum neue Aufträge an ihn abgaben. Dieses Spielchen trieb er schon seit einigen Jahren. Die alte Firma mußte dann stets am Telephon verleugnet werden („Tut mir leid, die PlanBau gibt es leider nicht mehr, wir haben aber das Projekt soundso übernommen, was können wir für Sie tun?“ und schon war die PlanBau vergessen und die BauPlan trat auf den Plan oder eine andere Firma, deren Geschäftsführer und Inhaber ganz zufälligerweise ein gewisser Urs Meyer von Knonau war.)

Es war also mal wieder so weit, Knöni wollte sich verleugnet wissen bis die Einlullfrist verstrichen war. Kein Problem, darin hatten sie ja alle Übung.
Knöni war aufgeräumter Stimmung und guter Dinge, als alter Pleitenhase focht ihn derlei nicht mehr an, ganz abgesehen davon, daß das nun wirklich keine Katastrophe war, da Inszenierung, und alles in den wohlgeplanten Geschäftsablauf gehörte. Das sollten freilich die Behörden, insbesondere die vom Finanzamt, nicht wissen; sie ahnten es natürlich – alle zwei Jahre Konkursgehen, das passiert ja nicht jedem mit so steter Regelmäßigkeit –, aber zu beweisen war da nie etwas. Manchmal war Knöni auch Arbeitslos gemeldet. Als er einmal eine ABM-Stellung für sich ausgerechnet in einer Firma namens BauPlanung (das war der Vorvorgänger der PlanBau gewesen, die ausnahmsweise nicht auf ihn sondern auf seine Assistentin lief) beantragte, hatten sie ihm beim Arbeitsamt nur einen Vogel gezeigt und er war unter grinsenden Flüchen aus dem Amt gegangen. Probieren kann man’s ja mal.

Es klingelte, ein aufgebrachter Handwerker, der Elektriker Eschen, stürmte das Büro und ohne zu fragen, betrat er Lieks Büro. Dort drin machte er Frau Liek eine Szene, er habe mit seinem Bruder Sonderschichten gemacht, Zusatzkosten gehabt und nun habe sie ihm auch noch den Rechtsanwalt auf den Hals gehetzt, wo sie doch nicht einmal die letzten drei Aufträge davor bezahlt habe. Als er seine Anklage fertig hatte, begann ein unglaubliches Gekeife von Frau Liek, sie holte Schimpfworte aus den alleruntersten Schubladen und es fehlte wohl nicht viel und sie wäre mit ihren spitzen Fingernägeln auf Eschen losgegangen. Schließlich wollte sie einen triumphalen Endpunkt setzen und schrie: „Ich zeig‘ Sie an wegen sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung!“ Darauf antwortete Eschen erstaunlich ruhig: „Schau‘n se sich doch mal im Spiegel an, das glaubt dir doch keine Sau.“ – Wandte sich um und stolzierte hinaus. Über diese Replik mußte Robert ziemlich schmunzeln. Aber da nach diesem Auftritt die Stimmung im Büro nun endgültig im Keller gelandet zu sein schien, wollte Robert sich trollen und eine vorgezogene Mittagspause machen. Aber so leicht war kein Entkommen, denn die schnaubende Frau Liek kam auf ihn zu, wobei sie sich von Schritt zu Schritt beruhigte. Ja, lachte gar endlich und sagte zu Robert: „So’n Arsch. Kommen Sie, wir trinken einen Sekt.“ Robert wehrte sich nicht groß, und in der Küche nahmen sie einen Umtrunk ein, bei dem Knöni natürlich auch nicht ausgeschlossen war. Sie feierten seine Pleite und die anvisierte BauPlan–Gründung und überlegten dabei, woher sie einen neuen, guten wie günstigen Elektriker bekommen sollten, denn dem Eschen wollten sie nun keine Aufträge mehr geben.
Am Abend ging Robert ins Bateau ivre, er war, wie immer, einige Zeit zu früh, hatte aber, ebenfalls wie immer, ein Buch aus der Jackentasche gezogen und las.
Claire kam pünktlich, ja sogar zwei Minuten vor der verabredeten Zeit. Das gefiel Robert. Auch sah sie hinreißend aus. Sie hatte einen crèmefarbenen Rollkragenpullover an, einen ganz dünnen, denn es war zwar schon kühler geworden, aber der Herbst war noch nicht ganz ausgebrochen, sondern schlich sich erst langsam an. Dazu eine sogenannte Marlenehose, mit breiten Beinen. Sie gab Robert einen Kuß auf die Wange zur Begrüßung.

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Sechstes Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

Die Sonntage verbrachte Robert meistens im Keller. Den hatte er sich ausgebaut, der Boden war gekachelt, ebenso die Wand bis in anderthalb Metern Höhe. Unter dem kleinen Milchglasfenster stand ein ausrangierter Tisch, auf dem er eine Granitplatte angebracht hatte. An der Seite ein Kommödchen mit allerlei Dingen darin, ein Bücherbord und ein Karteikasten mit mehrfarbigen Karteikarten, die meisten mit Schreibmaschine beschrieben, andere mit handschriftlichen Notizen darauf. Ein kleiner Kühlschrank stand in der Ecke und den Waschmaschinenanschluß hat er mit einem Hahn versehen, darunter ein Eimer. Vor dem Tisch ein dreibeiniger Hocker.

„Ohrenschmausstube“ nannte Robert seinen Keller im Selbstgespräch. Wenn er die Tür aufschloß, fiel sein Blick stets zuerst auf den gegenüber der Tür an der Wand angebrachten ausgestopften Galago Senegalensis, der auf ein Asttück montiert ist. Ohrenmaki heißt das possierliche Tierchen auf Deutsch. Mit 20 cm Leibes- und 25 cm Schwanzlänge ein großer Vertreter seiner Spezies. Der schaute mit seinen großen, runden Kulleraugen auf jeden Eintretenden; es schien, in seiner halbzusammengekauerten Haltung, als sei er stets zum Sprung bereit. Doch wohin sollte er denn springen. Den Sprung vor dem tödlichen Schuß jedenfalls, den hatte er verpaßt. Bevor Robert sich um das Exemplar gekümmert hatte, hatte er im BROCKHAUS gelesen, daß der Galago „große, häutige Ohren mit faltbarem Hinterrand“ habe. Das klang ihm sympathisch und ideal zur angemessenen Gestaltung seines Kellerraumes. Es hatte Robert eine ordentliche Stange Geld gekostet, denn über den normalen Einfuhrweg ging das nicht, da war der Zoll vor. Und der ließ diese possierlichen Galagos nicht einreisen, gleichviel in welchem Zustand, ob lebend, ob tot. Aber es gibt ja immer Mittel und Wege, und vor allem wenn die Mittel da sind, findet sich auch der Weg wie von alleine.

Robert trat ein, entbot dem Galago seinen Gruß und setzte sich an den Tisch. Er blätterte in der Kartei. Darin hatte er allerlei absonderliche Dinge rund um’s Ohr notiert. Medizinisches, Literarisches, Juristisches. Im amerikanischen Elkhart, Indiana, beispielsweise gab es ein Gesetz, das ausdrücklich besagt, daß es Friseuren verboten sei, Kindern zu drohen, daß sie ihnen die Ohren abschneiden würden, wenn sie nicht ruhig seien.

Daß es mit den Ohren etwas besonderes auf sich hat, das wußte man schon zu Urzeiten. Das Ohrenabschneiden stand zu biblischen Zeiten als Strafe auf Hurerei: „Sie sollen dir Nase und Ohren abschneiden; und was übrigbleibt, soll durchs Schwert fallen“, hatte Robert auf einer der Karteikarten notiert und darunter: „Hesekiel 23, 25 – ein Kapitel in dem insgesamt 15mal das Wort Hurerei fällt.“ Die Strafe mit den Ohren hatte wohl damit zu tun, daß eine ihrer Ohren beraubte Frau nicht mehr als schön gelten konnte. Das konnte Robert nachvollziehen.

In seiner Kartei waren sie alle vereint, von Ohola und Oholiba bis zu Evander Holyfield, der vom Tyson gebissen ward. In der juristischen Abteilung, auf roten Karteikarten, gab es allerlei Zitate aus dem DEUTSCHEN RECHTSWÖRTERBUCH der Universität Heidelberg, wie dieses herrliche aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts: „werdet de oren beide af ghesneden, gheslaghen, oder ghehowen, so beteremen dem cleghere x1 … heft he des geldes nicht, so ga ore teghen.“ Das betraf das Abschneiden von Ohren etwa im Streit oder in einer Schlägerei. Das Ohrenabschneiden als gerichtlich verhängte Strafe, das gab es freilich auch: „do man ut … his earan“, hieß es in einem Rechtstext um 1027. Das Ohrenabschneiden galt den Dieben und übleren Missetätern, und noch 1726 als Strafe den „boshaften kupplern und huren wirthen“. Das ging einige Jahrhunderte so, bis es dann, 1771, hieß: „abschneiden der nase und ohren, kommt selten vor.“ Natürlich hat man nicht nur abgeschnitten, man hat das Ohr auch zu anderm verwendet: „unnd wa er in erwischet, mit eynem ohre an ein baum mag plocken unnd in so lassen steen mit dem angenagelten ohre.“

Robert las sich fest in seiner Sammlung, notierte ein paar Neufunde auf die Karten mit entsprechender Farbe und verließ den Keller erst, als die Sonne schon sank und es dunkelte. Während er wieder in die Wohnung ging, sinnierte er darüber, warum sich ein Lügender oft am Ohrläppchen zupfe. Will der sich insgeheim vergewissern, daß die noch dran sind, er also nicht auf den ersten Blick schon als Lügner zu entlarven sei? „Dem muß ich mal nachgehen“, murmelte Robert vor sich hin.

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Fünftes Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr; das vierte Kapitel ist zensiert):

Diesmal setzte Robert sich nicht zu den Dreien am Stammtisch. Robert blieb an der Theke stehen, trank ein Bier, nachdem er einmal rüber gewunken hatte zu Cad, Eiermann und Henriette. Die hatten sich heute wenig zu sagen, boten nur den Anblick eines trüben Haufens, mehr nicht; ganz anders als sonst manchmal, wenn die sich diskutierend in die Wolle kriegten. Als Robert sein Bier ausgetrunken hatte, sah er, wie Eiermanns Kopf in Richtung Tischplatte sank und die andern beiden Anstalten machten, ihn, wie üblich, mit allerlei Zeugs zu dekorieren. Das war auch nicht anders als sonst, also zahlte Robert und ging.
Es war noch ein wenig zu früh; mit Marie war er erst um halb Elf im Bateau ivre verabredet. So schlenderte Robert ziellos durch die Gassen, besah Schaufenster, schaute sich die Plakate der neuesten Hollywood–Streifen im Schaufenster des Multiplex–Kinos an und steuerte schließlich, obgleich immer noch zu früh, zum Bateau ivre.
Dort war noch nicht so viel los, es war ja erst halb zehn und das übliche Publikum war wohl noch im Kino, saß im Stadtgarten auf der alten Stadtmauer oder war irgendwo zu Tisch. „Zu Tisch“ trifft es bei denen besser als „beim Abendessen“, denn der Großteil des Bateau ivre–Publikums gehörte zu jenen smart sich gebenden Mittdreißigern, die mit schnellen Autos und feinen Hosen und entsprechend teuren Sonnenbrillen auffielen – und mit diesem dezenten Protz ihre bei fast allen lange, wenngleich in rascher Folge eingetretene Kette von geschäftlichen Desastern wettzumachen suchten. Viele Computer-Leute (daß sie nicht selbst die Programmierer waren, sondern eher die Chefs solcher Firmen, sogenannter Start-ups, sah man schon an der soeben beschriebenen Kleidung – da trug keiner verblichene Sweatshirts oder T–Hemden mit obskuren Schokoriegelmarken vorne drauf, wie das die zumeist dickbebrillten Programmierer taten), die sich anderthalb Jahre lang caipiriñaschlürfenderweise über new economy und den Börsengang, den kurz bevorstehenden, ihrer Firma unterhalten hatten, bis irgendwann niemand mehr so recht davon sprechen wollte. Die meisten hatten ihre ersten Pleiten und Börsenverluste in sechsstelligen Höhen hinter sich und das einzige, das bei ihnen noch glänzte, war der Schweiß auf der Stirn angesichts des gewaltigen Schuldenbergs, für den sie, so sah das Geschäftsmodell es meistens vor, ungeahntes Risiko vordem, persönlich haftbar waren. Da es inzwischen dem Gesetzgeber in seinem weisen Ratschluß gefallen hatte, private Insolvenzen zuzulassen, war es den gescheiterten Jungunternehmern doch nicht mehr so bange, denn dadurch war nun, wie sie es nannten, der Lichtstreif am Horizont zu sehen – und der rückte immer näher. Die meisten der Bateau ivre–Gäste, das hatten die wohl einmal so unter sich ausgemacht, hatten den Zeitpunkt für die Eröffnung des privaten Insolvenzverfahrens auf in drei Monaten festgesetzt. Und bis dahin gab’s doch noch reichlich Tage und Feste zu feiern. Das machten sie bevorzugt hier, was dem Wirt natürlich recht war.
Jetzt waren die aber noch alle irgendwo „auf der Piste“ und Robert hatte beinah freie Platzwahl. Er setzte sich an einen Dreiertisch im hinteren Café–Bereich, den er bevorzugte, weil zum einen dann nicht permanent jemand am Tisch vorbeiging, wie in der Café–Mitte, wo sich die Treppe zu den Toiletten befindet, und weil zum andern er den Laden überblickte, sah, wer kam und ging. Robert zog ein Buch aus der Jackentasche und las. Zwischendurch nippte er an seinem Bier. Als er sich festgelesen hatte, ganz eingetaucht war in die Lektüre, füllte sich das Bateau ivre, immer öfter mußte Robert abschlägigen Bescheid geben auf die Frage, ob bei ihm noch ’was frei sei. Endlich, wie immer eine Viertelstunde zu spät, kam Marie: „Tschuldigung, kein Parkplatz. Hallo Robert!“ Sie gab ihm einen raschen Kuß auf die Wange und setzte sich. Dem herbeigeeilten Kellner nannte sie ihren Getränkewunsch, der ziemlich rasch, trotz inzwischen schon überfüllt zu nennender Lokalität, erfüllt wurde. Sie stießen an und Marie erzählte von „ihrer Woche“, wie die so gewesen war. Spektakulär war die nicht gewesen, aber recht kurzweilig, wie Robert fand.
Zuerst hatte Marie einen Sekt bestellen wollen, sich dann aber umentschieden und auch ein Bier bestellt. Das war Robert recht. Denn von Sekt wurde Marie „giggelig“, wie Robert das nannte (Giggele nannte man auf dem Land die kleinen Hühner, Sie wissen schon, was Robert mit „giggelig“ meinte). Ein Bier, das passte, obgleich es wie ein Kontrast wirkte, irgendwie besser zu Marie. Sie trug an diesem Abend ein schlank geschnittenes, schwarzes Kleid, in dem posierend einmal Gillian Anderson in der Emanuele Ungaro–Werbung reichlich neckisch ausgesehen hatte. Neckisch sah auch Marie in diesem Kleid aus. Zum Anbeißen, dachte Robert, und … diese Ohren … ja, das hatte ’was. Nun nippte sie also an ihrem BECK’S–Bier, das eiskalt war und, das war seit einiger Zeit so üblich geworden, direkt aus der Flasche getrunken wurde. Dieses Ensemble, die eine Spur zu sehr nach Abendgesellschaft gekleidete Marie und die grüne Flasche in ihrer Hand…

Und sie plauderte von der hinter ihr liegenden Woche. Immer noch eine Spur zu sehr hektisch, so, als hetze sie immer noch nach einem Parkplatz.
Marie trug auch keine Ohrringe, wie Robert jetzt erst bemerkte. Das gefiel ihm. Sie hatte mittelgroße Ohrläppchen, die sehr zart aussahen. Als Robert nach einer Weile zum Klo ging, verweilte er kurz hinter Marie stehend, fuhr mit seinen Fingerspitzen über die Härchen im Nacken, kraulte ihren Haaransatz, was sie mit einem katzenschnurrenähnlichen „Mmmh“ quittierte, wobei sie den Kopf ein wenig nach vorne streckte. Robert ließ sich noch dazu verleiten und streichelte ganz kurz aber zärtlich ihr Ohrläppchen, ließ es zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand gleiten. Auch das schien ihr zu gefallen. Auf dem Rückweg von der „Kachelkammer“, wie Robert im Scherz die Toiletten nannte, passte er einen der afghanischen Rosenverkäufer („wolle Rose kaufe?“) ab, drückte ihm ein Geldstück in die Hand und ließ sich eine Rose geben. Daß das mitten im Café geschah, war Robert recht; denn nichts erschien ihm peinlicher zu sein als am Tisch in Anwesenheit der zu Beschenkenden eine solche Blume zu kaufen oder gar, größtes Übel, das er sich für so eine Situation vorstellen konnte, in ihrem Beisein über den Preis zu feilschen. Das soll ja eine Geste sein, mehr nicht. Und es geht nicht um den Erwerb, der, im Beisein der Rosenempfängerin, gar dem Unterfangen abträglich wäre, sondern nur um die Tatsache der Rosenüberreichung. Das Geschäft sollte diskret sein.

Marie nahm die Rose mit einem Lächeln und einem Augenverdrehen an, beugte sich zu Robert und gab ihm einen Kuß auf die Wange, diesmal nicht so flüchtig wie bei der Begrüßung. Der Kellner, einer von der aufmerksamen Sorte, kam auch schon mit einer Vase herangeeilt, in der sich die Rose gut machte auf ihrem Tisch.
Später, beide waren nicht mehr nüchtern zu nennen, aber beide noch im geselligen Stadium des leichten Trunkes, jenem Stadium, das noch wohlkontrollierte Handlung zuläßt und lallfreies Reden, dehnten sie den Gang zum Taxistand zu einem kleinen Spaziergang aus. Durch die Gassen der Altstadt, die sich an die Innenstadt direkt anschließt, und einmal quer durch den Stadtpark, was aber weniger romantisch als gedacht war, zumal das nächtliche Stadtparkpublikum sich aus Obdachlosen zusammensetzte. Noch einen Kuß, diesmal auf den Mund, der aber geschlossen blieb dabei, und sie nahmen jeder ein Taxi. Die Rose hatten sie im Bateau ivre auf dem Tisch stehengelassen, aber das war jetzt nicht mehr so wichtig.

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Drittes Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

„Reißner, gut, daß Sie wieder da sind“, sagte Frau Liek, als Robert die Bürotür hinter sich geschlossen hatte. „Geht das klar mit dem Grundbucheintrag von den Beermanns?“
„Ja, Frau Malibran sieht da kein Eintragungshindernis. So in ein, zwei Wochen ist das erledigt. Geht jetzt automatisch, wir müssen uns da nicht mehr drum kümmern.“
„Ausgezeichnet. Das haben Sie mal wieder gut gemacht.“
Robert nickte seitlich und lächelte. „Aber“, sagte Frau Liek, „dem Eschen müssen wir Beine machen.“
„Was hat der denn schon wieder verbrochen?“ fragte Robert.
„Wie eigentlich immer. Er ist im Beermann–Haus noch nicht mit den Leitungen fertig und morgen kommt der Verputz auf die Wand.“
„Oder auch nicht, wenn Eschen nicht fertig wird.“
„Rufen Sie ihn an. Soll er ‘ne Nachtschicht machen, oder die Kosten übernehmen. Ist mir eigentlich ganz egal, aber morgen ist Zapfenstreich für ihn.“
„Ich ruf da gleich mal an“, sagte Robert und griff den Telephonhörer.
„Eschen.“
„Reißner, Baubüro Liek…“
„Äh… ja, was kann ich tun?“
„Wie schaut’s bei Beermanns aus mit der Elektrik?“
„Mmh, naja, das dauert noch ’n paar Tage…“
„Muß aber morgen früh fertig sein.“
„Jaa, aber…“
„Ne ne“, fiel Robert ihm in‘s Wort, „aber war gestern. Tut mir leid. uns sitzt die Zeit doch auch im Nacken. Morgen kommt der Verputzer.“
„So’n Scheiß. Wann kommt der denn?“
„Um elf.“
„Muß?“
„Muß.“
„…“
„Der Termin war doch klar, oder?“
„Ja, eigentlich …“
„Sehnse, Eschen. Also schauen Sie zu.“
„Okay, Elektrik steht um Elf.“
„Woll’n wir hoffen.“
„Naja, Nachtschicht.“
„Tut mir leid, kann ich nix für“
„Schon klar. Dann bis morgen.“
„Ja. Wiederhören“, das letzte Wort hatte Robert sehr gestreckt gesagt. Er legte auf.
Immer dasselbe Theater. Lieks geben zu enge Termine vor, die Handwerker kommen nicht nach, weil die eben wirklich eine Spur zu eng gesteckt waren. Die Handwerker waren aber trotzdem froh, daß sie die Aufträge überhaupt bekamen, so dolle sah‘s in der Branche auch nicht mehr aus, und da akzeptierten sie auch die knappe Zeit und nahmen im Notfall auch noch einen Abzug in Kauf. Hauptsache, es war überhaupt ein Auftrag da. Daran, daß Lieks erst Monate später bezahlten – und dann auch noch mit fünf Prozent Skonto –, daran hatten sie sich schon gewöhnt. Sie wußten ja, murrten sie zu laut, dann bekam den nächsten Auftrag eben ein anderer. Im Beisein von Handwerkern tat Frau Liek immer so, als gerate sie in’s Schwärmen: „Ach, diese Polen, die sollen ja so arbeitsam sein, hat mir der Kollege Soundso gesagt. Das wär‘ doch auch eine Möglichkeit, gelle, jetzt wo die doch in die EU kommen.“ In solchen Momenten phantasierten die Handwerker sicherlich einige hübsche Todesarten, welche von den langsamen, für Frau Liek und murrten dann doch nicht.

Robert ging in die Kaffeeküche, sich ein Glas Sprudel zu holen. Urs Meyer von Knonau saß am Tisch und nippte an seinem Bier, neben sich den an ihn adressierten Teil des Posteingangs.
„Und? Wie war’s?“
„Oh, ziemlich lecker.“
„Nicht das Essen. Bei der Malibran.“
„Mein ich doch“, Robert grinste eine Spur zu breit, „ich hab‘ Claire…“
„Claire?“
„Ja, Claire…“
„Schuft!“
„Hehe… ich hab‘ ihr deine Grüße ausgerichtet.“
„Na denn. Was habt ihr denn gemacht?“
„Och, Akten durchgeguckt, die Grundbuchsachen geklärt…“
„Tu nicht so harmlos.“
„Bin ich doch aber… Naja, dann sind wir halt noch ’was essen gegangen. Und wir sehen uns die Tage wieder.“
„Und das soll ich jetzt gut finden. Oh du süße Malibran, verleumdet und verlassen hast du mich und trittst mein blutend Herz mit Füßen.“
Robert lachte.
„Ja, lach du nur. Ich entziehe dir die Grundbuchsachen, ab sofort mache ich das selber.“
„Geht doch gar nicht. Gönn‘ einem jungen Mann doch auch mal ‘was, du alter Egoist.“
„Selber Egoist. Oh, mir fällt ein…“
„Was denn?“
„Meine reizende Assistentin könnte mir ja sich zum Troste reichen. Was meinst du, Robert?“
„Vorzügliche Idee.“
„Malibran fällt eh unter Feindkontakt. Sie kollaboriert, schlimmer noch: die gehört auf die Seite der Ämter!“
„Das ist ja grauenhaft. Wie ich das nur vergessen konnte…!“
„Schleich dich!“
Robert nahm sein Wasserglas und verließ die Küche. Zu Lieks sagte er, daß er noch bei Beermanns vorbeifahren würde und nach Eschen schauen, wie weit der sei. Er komme dann erst morgen wieder.
Eschen war am Rotieren, er hatte seinen Bruder mitgebracht, der ihm zur Hand ging. „Sieht doch gut aus“, sagte Robert. „Morgen, elf Uhr, ja?“
Eschen verdrehte die Augen und sagte: „Ja, zehn Uhr neunundfünfzig – alles piccobello. Wie immer.“
„Na denn.“
„Ciao –“
„Ciao.“
Robert nahm den nächsten Bus heimwärts.

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Zweites Kapitel aus dem Roman “Milchferkelhalterabend” (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

Ob ihm das etwas gebe, hatte Marie ihn also gefragt. Und hatte seine Freude an schönen Ohren gemeint. Besonders die an Ohrläppchen. Diese mal kleinen, mal größeren zarten Fleischlappen, die zwischen den Fingern zu spüren ein ungemeines taktiles Vergnügen darstellt. Man sollte so etwas sammeln können, hatte er sich gedacht. Beißt man zu lange in ein Ohrläppchen hinein, so wird die Stelle rot bis lilafarben, je nachdem wie stark oder wie lang man gebissen hatte. Der Geschmack ist es nicht. Der ist so besonders nicht. Wie jede Haut eben, das hängt vom benutzten Parfum oder der Seife ab, wie sie schmeckt. Ohrläppchen haben keinen Eigengeschmack.
Aber die Konsistenz! Zart wie ein Filetstück Kinderpopo. Ein bißchen wie diese Joghurt-Gums, nur fester, also eher wie frische Weingummi-Drops. Die Vorstellung, lange und ausgiebig und genüßlich und kaum hörbar schmatzend an Maries Ohrläppchen lecken und knabbern zu können, die bereitete Robert ein ausgesprochenes Vergnügen. Das heißt ein ausgesprochenes Vergnügen war es ja nicht, es war ein unausgesprochenes, heimliches. Robert hatte Marie gegenüber darüber nur so nebenbei gesprochen, in einer Unterhaltung über die verschiedenen Vorlieben, die „man halt so hat“, und da hatte Robert gesagt: „Ohrläppchen sind eigentlich doch die schönste Partie eines Körpers“, und hatte dabei gelacht. Das hatte Marie sich gemerkt. Deswegen auch ihr Abschiedswort: Halt‘ die Ohren steif…
Ja, natürlich „gibt“ mir das ‘was, dachte Robert. Natürlich, was denn sonst.
In der Kaffeeküche des Büros saß Urs Meyer von Knonau und sah reichlich zerknittert aus. Vor sich hatte er die braune anderthalbliter Glasflasche des trüben, obergärigen Hausbräu–Bieres aus dem BRAUHÄUSCHEN, zwei Straßen weiter: Knöni frühstückte.
„Prost Robert, guten Morgen.“
„Prost, Urs, Morgen auch.“
„Auch ‘en Schluck?“
„Ne, ne, laß mal. Muß noch zur Malibran.“
„Oh Malibran, oh Malibran, ich schau dich ja so gerne an…“, flötete Urs Meyer von Knonau.
„Die kannste mir doch lassen, Urs. Wenigstens die Malibran.“
„Fällt mir gar nicht so leicht, kannste dir ja denken. Prösterchen“, und schenkte sich noch einmal nach.
Robert schraubte den italienischen Aluminium–Kaffeekocher auf, spülte den Kaffeesatz gestrigen Tages in den Abfluß, füllte Wasser und Kaffee ein und stellte das Gerät auf die Herdplatte.
„Du mit deinem Kaffee…“
„Die Filtersuppe von der Liek schmeckt doch wirklich scheiße.“
„Deswegen trink‘ ich ja auch natürtrübe Brühe, deren Kühle ich fühle ohne Mühe in der Frühe.“
„Au, das tut ja weh.“
„Wann gehste zur Malibran?“
„Jetzt gleich nach’em Kaffee.“
Urs Meyer von Knonau erhob sich von seinem Frühstücksplatz, legte die linke Hand vor seinen Bauch und deutete in vollendeter Galanterie eine Verbeugung an: „Würden Sie der verehrten Mademoiselle meinen Gruß entbieten und Sie meiner tiefempfundenen Verehrung versichern nebst artigem Kratzfuß und zartgehauchtem Kuß auf die süßen Fingerchen?“
Robert, die Augen verdrehend: „Geht klar, Knöni, mach‘ ich.“ Ebenfalls eine Verbeugung andeutend, sagte Robert dann, in versucht österreichischem Tonfall: „Und Sie, Herr Professor, ömpfehl‘n’s mich der gnäd’gen Assistäntin und Ihrer veröhrten Frau Gemahlin.“
„Wie belieben, Herr Magister.“
„Dank‘ schön, Herr Professor.“
„Quatschkopp.“
„A‘, gehn’s.“
Der Kaffee brodelte auch schon. Zwei Löffel Zucker, einen Schluck Milch. Göttlich. Robert trank die halbe Tasse, stellte sie auf seinen Schreibtisch und ging zur Toilette. Der Nachteil des von ihm bevorzugten portugiesischen Kaffees nämlich ist, daß er binnen Minuten auf die Verdauung schlägt. Während er an eben jenem Orte saß, mußte er über die wie stets eine Spur zu albern geführte Konversation mit Urs Meyer von Knonau denken. „Die verÖHRte Frau Gemahlin, das war gut“, dachte er, „ja, die Öhrchen…“
Er konnte es Knöni nicht übelnehmen, daß er nie so richtig präsent war, konnte irgendwie keiner. Er war ja ein lustiger Kerl und liebenswürdig obendrein. Nur eben immer ein betrunkener lustiger Kerl und trotzdem liebenswürdig. Aber so lange alles glatt ging mit seinen Häusern, warum nicht. Der hat sich halt gedacht, das reicht auch so, warum phantasievoll sein, das reicht auch so für ein gutes Leben, das reicht auch so, auch so. Ja, auch so.
Robert leerte die Kaffeetasse, stellte die geleerte Tasse in die Spülmaschine in der Küche, packte zwei Aktenmappen in seine schwarzlederne Aktentasche und sagte zu Urs Meyer von Knonau: „Ich geh‘ dann jetzt mal.“
„Jau, bis später dann, Robert.“
Als Robert die Straße gerade überquert hatte, sah er Lieks Wagen um die Ecke kommen.
„Grad noch rechtzeitig“, murmelte er vor sich hin. Denen wollte er nicht schon so früh begegnen. Lieber Mittags, wenn er schon ‘was geschafft hatte, wenn er schon einen ganzen Haufen Papier mit seinen auf Post-its notierten Kommentaren auf ihrem oder seinem Schreibtisch abgelegt hatte und verschiedene Protokolle und Akten geschrieben beziehungsweise durchgesehen waren und es eigentlich nichts mehr zu tun gab. Dann hielten Lieks ihn für fleißig: „Wir sind ja soo froh, daß Sie hier sind; da wissen wir immer: es läuft, wenn wir g’rad mal außer Haus sind.“ – „Ja, daran liegt’s ja, Frau Liek, daß es läuft, wenn Sie außer Haus sind…“, das dachte Robert natürlich nur, sagte es aber nicht. Knöni, der brachte so etwas fertig und sagte es auch. Aber die kannten sich auch schon seit dem Studium, die Lieks und Meyer von Knonau, da konnte er das machen. Außerdem war er ja als Architekt unentbehrlich, glaubten sie.
Im Amt. Bei Frau Malibran. „Ich grüße Sie, Frau Malibran. Waren Sie im Urlaub? Sie sehen bezaubernd aus. So ausgeruht, so schöner Bräune Glanz, wenn der Sonne Strahl Sie umfängt…“
„Jetzt fangen Sie auch schon so an. Meyer steckt an, was?“
Sie nannte Urs Meyer von Knonau immer mit dem vulgäreren Teil seines Namens; kleine Perfidie, um seinem Werben leichter zu widerstehen.
„Oh, dies zu befürchten steht. Der Herr Architekt läßt grüßen.“
„Dankeschön. Jetzt aber wieder normal. Was steht an, Herr Reißner?“
Robert packte die Akten aus, sie holte die dazugehörigen Akten aus ihren Aktenschränken. Sie kamen recht zügig, da konzentriert, mit allem durch. Robert betrachtete sie halb verstohlen dabei, während er irgendwelche Details der Pläne erläuterte. Sie trug keine Ohrringe, sie hatte nicht einmal Löcher gestochen. Das fand Roberts besonderes Gefallen, und er schlug vor, man könne ja gemeinsam einen Kaffee einnehmen oder einen Happen ‘was essen gehen.
Sie gingen in eines der Straßencafés in der Innenstadt, aßen jeder einen Salat. Er nippte an seiner Apfelschorle, sie an ihrem Tonic water.
„Sie gestatten? Ich heiße Robert“, sagte er.
„Ich weiß“, sagte sie. Schön während sie es sagte, schaute sie bedauernd. „Tschuldigung, das war blöd“, sagte sie gleich darauf, während sie mit der Hand wedelte, als wolle sie die beiden Worte aus der Luft vertreiben und es sah aus, wie wenn sie sich die Hand verbrannt hätte.
„Tschuldigung. Ich heiße Claire“, sie streckte ihm die Hand hin.
„Es ist mir ein Vergnügen.“
Sie sprachen über alles mögliche. Nicht so sehr privat, so gut kannte man sich ja noch nicht; hauptsächlich halbberufliches. Die lieben Kollegen, die im Amt bei ihr und die im Büro bei ihm. Sie zahlten getrennt und gaben sich zum Abschied die Hand.
„Tschüs Robert, das war schön!“
„Tschüs Claire, ja, das war schön. Ich komm‘ bald mal wieder…“

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Erstes Kapitel aus dem Roman „Milchferkelhalterabend“ (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):

Ob ihm das etwas gebe, hatte sie ihn gefragt, glaubte er. So genau wußte er das nicht mehr, als er den Abend rekapitulierte. Mag sein, hat er dann wahrscheinlich geantwortet. Und dabei gedacht, natürlich „gibt“ mir das etwas.
„Halt‘ die Ohren steif“, sagte sie ihm zum Abschied. Das hatte ‘was.
Das war schon wieder so ein Abend gewesen, der zwischen belangloser Zeitvergeudung und verheißungsvollem Geplänkel changierte. Marie war ihm, Robert, nur eine Spur zu abgeklärt, zu verspielt schnippisch, zu sehr so, als wolle sie ihr Alter um zehn Jahre herunterlügen und den Anschein des Mädchenhaften erwecken.
Robert saß zu Hause, am Küchentisch vom „Elch“, so nannten sie ein gewisses schwedisches Möbelhaus. Auf dem Küchentisch rote Platzdeckchen, ein Strauß getrockneter Disteln in einem wasserlosen, etwas zu großen, vormaligen Gurkenglas und ein Kerzenständer, der so absurd häßlich war, daß er schon wieder ‘was hermachte. Frühstück, Schinkencroissant und ein Brötchen vom Bäcker. „Taliban“ nannten sie ihn unter sich, seines wilden Bartes wegen, der eines afghanischen Kriegers durchaus würdig gewesen wäre.
Frühstück also, Kaffee. Tut gut, so ein Kaffee am Morgen, dem frühen.
Gleich, so gegen neun Uhr, würde er zur Arbeit gehen. Drei Stationen mit dem 14er Bus, dann in die 111er Straßenbahn. Zwei Straßen weiter, eine Fußgängerampel, am Pförtnerhäuschen vorbei – „Morgen!“ – und schon war er da. Durch die sich automatisch öffnende Glastür, eine Treppe hoch, den Gang hinter. Großraumbüro. Verwaltungskram. Robert war für das Erstellen und Einholen von Ausschreibungen und Angeboten zuständig. Bauvorhaben, Korrespondenzen und Verhandlungen mit den Behörden, Liegenschaftsamt, Bürgermeisteramt. Mit Herrn Meier, der für den Bebauungsplan zuständig ist; und mit Frau Malibran, die ihre Stimme für die Grundbuchangelegenheiten erhob, damit alles gemäß der 1897er Grundbuchordnung von statten gehe.
Langweilig, sehr langweilig. Vor allem, da er nicht selbst Bauherr war und sich zumeist als Handlanger empfand. Handlanger von Herrn und Frau Liek und ihrem Architekten, Urs Meyer von Knonau, der unüberhörbar ein Zürcher ist. Meyer von Knonau bevorzugte das nicht-nüchterne Arbeiten und war daher meist guter Dinge und wohlgelaunt, besonders, wenn’s einen Abschluß zu feiern gab, oder eines der Projekte Richtfest zu begehen.
Frau Liek war nichts lieber als gegen die auf ihren Baustellen beschäftigten Handwerker gerichtlich vorzugehen. Oft hatte sie die Termine, die in den Ausschreibungen genannt waren, mit Absicht zu knapp kalkuliert, damit die Firmen ihrer Säumigkeit wegen weniger in Rechnung stellen könnten. Gegen die so geminderte Rechnung legte sie natürlich sofort Einspruch ein, denn irgend etwas würde sich immer finden lassen, das ihren Anstoß erregen könnte. Und wenn man mit der Lupe danach suchen mußte. Zu Feierabend war sie meistens auch schon etwas angeschickert, wie sich das eben so gehört, wenn bei jedem Termin ein Gläschen Sekt, Champagner oder Prosecco, je nachdem bei wem man gerade war, zu sich nehmen „mußte“. Herr Liek war da etwas rustikaler, ihm durfte es zwischen den „Sekten“, wie er sagte, auch gern ein zwei drei „Pilschen“ sein. Gefahren sind sie danach natürlich immer noch selbst – das hätte ja nicht gut ausgesehen, was sollten denn dann die Leute denken. Nur Meyer von Knonau nahm das Taxi. Denn er war seinen Führerschein seit geraumer Zeit los. Im Sommer packte ihn manchmal der Übermut und er kam mit dem Fahrrad, trompetete irgend etwas von Fitness und nun wolle er Sport machen, um seinen vom Bier so schön geformten Körper ein wenig zu ranken und zu schlanken, wie er sagte. Seine Frau störe das zwar nicht, was ihn ebenfalls nicht störe, aber er wolle doch seiner Sekretärin gefallen, wobei er verschwörerisch doof mit den Augen zwinkerte. Nein, Sekretärin sagte er nicht. Er sagte „Assistentin“. „Tippse“ hatte er die erste geheißen, die ihn kalt hatte abblitzen lassen, worauf sie sich auf der Straße wiederfand und den Job los war; „Sekretärin“ war die nächste, die es immerhin schaffte, ihn vier Jahre lang auf Flirt-Nähe bzw. –Distanz zu halten, bis ihm das auch zu wenig wurde. „Assistentin“ nun, das klang zwar nach der höchsten Position innerhalb dieser drei Varianten aus der Vorzimmerdamenbezeichnungskategorie, aber sie war, was das Arbeiten anbelangte, von allen dreien nicht zu unrecht als die unfähigste zu bezeichnen. Norddeutscher Blondschopf, blaue Augen – das ganze Klischeerepertoire schien sich in ihr personifiziert zu vereinen. Ihre Briefe strotzten nur so von Fehlern und sie erweckte stets den Eindruck, als sei das, was man ihr sagte, in einer ihr vollkommen fremden Sprache gesprochen. Aber sie vögelte ihn und sie ließ sich von ihm vögeln. Damit war ihr eine lange und auskömmliche Zeit im Architekturbüro Urs Meyer von Knonau sicher. Zumindest so lange, wie ihre Brüste noch straff und ihre Taille schlank sein würde. Und das konnten durchaus noch zehn, fünfzehn Jahre sein. Wenn Knöni, so nannten Lieks Urs Meyer von Knonau wenn sie schon beschickert waren, es so lange überhaupt noch mitmache. Aber das hatte man schon gesagt als er dreißig war, das hat man schon gesagt als er vierzig war. Und jetzt war er gerade fünfzig geworden und vögelte sie weiter, und soff wie ein Weltmeister und architektierte zwischendurch. Das letztere fiel ihm genau so leicht wie die andern zwei seiner Hauptbeschäftigungen, denn sein Repertoire erstreckte sich auf lediglich drei Standardmodelle von Häusern, die er seit Jahren „drauf“ hatte. Die waren gut, einfach und solide – und er variierte sie nur ein bißchen, um den Kunden Individualität zu suggerieren. Für einen „neuen“ Entwurf brauchte er nicht einmal eine Stunde, er hatte das ja alles im Rechner.
Das also war das, was Robert täglich zu gewärtigen hatte, wenn er gegen neun Uhr bei der Arbeit aufkreuzte. Nicht, daß er das geschätzt hätte; nicht, daß ihm das angenehm war – es war ihm schlicht gleichgültig. Völlig egal.

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