Erstes Kapitel aus dem Roman „Milchferkelhalterabend“ (begonnen 2003, abgebrochen im selben Jahr):
Ob ihm das etwas gebe, hatte sie ihn gefragt, glaubte er. So genau wußte er das nicht mehr, als er den Abend rekapitulierte. Mag sein, hat er dann wahrscheinlich geantwortet. Und dabei gedacht, natürlich „gibt“ mir das etwas.
„Halt‘ die Ohren steif“, sagte sie ihm zum Abschied. Das hatte ‘was.
Das war schon wieder so ein Abend gewesen, der zwischen belangloser Zeitvergeudung und verheißungsvollem Geplänkel changierte. Marie war ihm, Robert, nur eine Spur zu abgeklärt, zu verspielt schnippisch, zu sehr so, als wolle sie ihr Alter um zehn Jahre herunterlügen und den Anschein des Mädchenhaften erwecken.
Robert saß zu Hause, am Küchentisch vom „Elch“, so nannten sie ein gewisses schwedisches Möbelhaus. Auf dem Küchentisch rote Platzdeckchen, ein Strauß getrockneter Disteln in einem wasserlosen, etwas zu großen, vormaligen Gurkenglas und ein Kerzenständer, der so absurd häßlich war, daß er schon wieder ‘was hermachte. Frühstück, Schinkencroissant und ein Brötchen vom Bäcker. „Taliban“ nannten sie ihn unter sich, seines wilden Bartes wegen, der eines afghanischen Kriegers durchaus würdig gewesen wäre.
Frühstück also, Kaffee. Tut gut, so ein Kaffee am Morgen, dem frühen.
Gleich, so gegen neun Uhr, würde er zur Arbeit gehen. Drei Stationen mit dem 14er Bus, dann in die 111er Straßenbahn. Zwei Straßen weiter, eine Fußgängerampel, am Pförtnerhäuschen vorbei – „Morgen!“ – und schon war er da. Durch die sich automatisch öffnende Glastür, eine Treppe hoch, den Gang hinter. Großraumbüro. Verwaltungskram. Robert war für das Erstellen und Einholen von Ausschreibungen und Angeboten zuständig. Bauvorhaben, Korrespondenzen und Verhandlungen mit den Behörden, Liegenschaftsamt, Bürgermeisteramt. Mit Herrn Meier, der für den Bebauungsplan zuständig ist; und mit Frau Malibran, die ihre Stimme für die Grundbuchangelegenheiten erhob, damit alles gemäß der 1897er Grundbuchordnung von statten gehe.
Langweilig, sehr langweilig. Vor allem, da er nicht selbst Bauherr war und sich zumeist als Handlanger empfand. Handlanger von Herrn und Frau Liek und ihrem Architekten, Urs Meyer von Knonau, der unüberhörbar ein Zürcher ist. Meyer von Knonau bevorzugte das nicht-nüchterne Arbeiten und war daher meist guter Dinge und wohlgelaunt, besonders, wenn’s einen Abschluß zu feiern gab, oder eines der Projekte Richtfest zu begehen.
Frau Liek war nichts lieber als gegen die auf ihren Baustellen beschäftigten Handwerker gerichtlich vorzugehen. Oft hatte sie die Termine, die in den Ausschreibungen genannt waren, mit Absicht zu knapp kalkuliert, damit die Firmen ihrer Säumigkeit wegen weniger in Rechnung stellen könnten. Gegen die so geminderte Rechnung legte sie natürlich sofort Einspruch ein, denn irgend etwas würde sich immer finden lassen, das ihren Anstoß erregen könnte. Und wenn man mit der Lupe danach suchen mußte. Zu Feierabend war sie meistens auch schon etwas angeschickert, wie sich das eben so gehört, wenn bei jedem Termin ein Gläschen Sekt, Champagner oder Prosecco, je nachdem bei wem man gerade war, zu sich nehmen „mußte“. Herr Liek war da etwas rustikaler, ihm durfte es zwischen den „Sekten“, wie er sagte, auch gern ein zwei drei „Pilschen“ sein. Gefahren sind sie danach natürlich immer noch selbst – das hätte ja nicht gut ausgesehen, was sollten denn dann die Leute denken. Nur Meyer von Knonau nahm das Taxi. Denn er war seinen Führerschein seit geraumer Zeit los. Im Sommer packte ihn manchmal der Übermut und er kam mit dem Fahrrad, trompetete irgend etwas von Fitness und nun wolle er Sport machen, um seinen vom Bier so schön geformten Körper ein wenig zu ranken und zu schlanken, wie er sagte. Seine Frau störe das zwar nicht, was ihn ebenfalls nicht störe, aber er wolle doch seiner Sekretärin gefallen, wobei er verschwörerisch doof mit den Augen zwinkerte. Nein, Sekretärin sagte er nicht. Er sagte „Assistentin“. „Tippse“ hatte er die erste geheißen, die ihn kalt hatte abblitzen lassen, worauf sie sich auf der Straße wiederfand und den Job los war; „Sekretärin“ war die nächste, die es immerhin schaffte, ihn vier Jahre lang auf Flirt-Nähe bzw. –Distanz zu halten, bis ihm das auch zu wenig wurde. „Assistentin“ nun, das klang zwar nach der höchsten Position innerhalb dieser drei Varianten aus der Vorzimmerdamenbezeichnungskategorie, aber sie war, was das Arbeiten anbelangte, von allen dreien nicht zu unrecht als die unfähigste zu bezeichnen. Norddeutscher Blondschopf, blaue Augen – das ganze Klischeerepertoire schien sich in ihr personifiziert zu vereinen. Ihre Briefe strotzten nur so von Fehlern und sie erweckte stets den Eindruck, als sei das, was man ihr sagte, in einer ihr vollkommen fremden Sprache gesprochen. Aber sie vögelte ihn und sie ließ sich von ihm vögeln. Damit war ihr eine lange und auskömmliche Zeit im Architekturbüro Urs Meyer von Knonau sicher. Zumindest so lange, wie ihre Brüste noch straff und ihre Taille schlank sein würde. Und das konnten durchaus noch zehn, fünfzehn Jahre sein. Wenn Knöni, so nannten Lieks Urs Meyer von Knonau wenn sie schon beschickert waren, es so lange überhaupt noch mitmache. Aber das hatte man schon gesagt als er dreißig war, das hat man schon gesagt als er vierzig war. Und jetzt war er gerade fünfzig geworden und vögelte sie weiter, und soff wie ein Weltmeister und architektierte zwischendurch. Das letztere fiel ihm genau so leicht wie die andern zwei seiner Hauptbeschäftigungen, denn sein Repertoire erstreckte sich auf lediglich drei Standardmodelle von Häusern, die er seit Jahren „drauf“ hatte. Die waren gut, einfach und solide – und er variierte sie nur ein bißchen, um den Kunden Individualität zu suggerieren. Für einen „neuen“ Entwurf brauchte er nicht einmal eine Stunde, er hatte das ja alles im Rechner.
Das also war das, was Robert täglich zu gewärtigen hatte, wenn er gegen neun Uhr bei der Arbeit aufkreuzte. Nicht, daß er das geschätzt hätte; nicht, daß ihm das angenehm war – es war ihm schlicht gleichgültig. Völlig egal.
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